Im Gespräch: Frank Knitsch (Elmer GmbH) und Rudolf Kaiser (Viega GmbH & Co. KG)
Die Fachgroßhandelsgruppe Elmer mit Zentralsitz in Bottrop hat eine Vision: „Wir machen Kunden glücklich.“ Dazu gehören innovative Dienstleistungen wie eine in dieser Form wohl einmalige Digitalisierung der gesamten „ORDER2CASH“-Prozesskette. Mit dem vollständig digitalen Prozess, den Elmer und Viega auf Basis von Branchenstandards über den digitalen Lieferschein aufgebaut haben, wurde jetzt die letzte analoge Lücke in dieser Kette geschlossen. Nach der erfolgreichen Testphase im Zentrallager Bottrop hat die Elmer-Gruppe den sukzessiven Roll-out des digitalen Lieferscheins in den übrigen fünf Logistikzentren gestartet – und ist von der Prozessoptimierung begeistert: deutlich weniger Papierkram, Reduzierung der Fehlerquote, mehr Prozessqualität, höhere Effizienz.
Im Gespräch mit Frank Knitsch, Leiter des Geschäftsbereichs IT, Service und Projekte in der Elmer-Gruppe, und Rudolf Kaiser, Director B2B-Process Management bei Viega, ist die RAS-Redaktion der Frage nachgegangen, was nötig war, um in Kooperation mit einem Hersteller diese Innovation maßgeblich weiter voranzutreiben und den digitalen Lieferschein zu entwickeln. Ebenso konnten wir einen Einblick in die Hintergründe und Vorgehensweise der konsequenten Digitalisierung erfragen.
Herr Knitsch, Sie sind seit über zehn Jahren in der Elmer-Gruppe unter anderem für die IT und damit die Digitalisierung aller relevanten Prozesse verantwortlich. Was treibt Sie in einer eher konservativen Branche wie der unseren an, so in die Details zu gehen wie jetzt mit dem digitalen Lieferschein?
In einigen Bereichen scheint unsere Branche tatsächlich konservativ zu agieren. Schaut man sich aber die Dynamik und Themenvielfalt genauer an, ist doch festzustellen, dass die digitale Transformation vor allem in den letzten zehn Jahren deutlich an Geschwindigkeit zugenommen hat. In der Elmer-Gruppe wurde frühzeitig erkannt, wie wichtig eine Digitalisierung mit Integration aller relevanten Geschäftsprozesse ist. Denn nur so können wir unser zentrales Versprechen an unsere Kunden, eine Lieferfähigkeit von über 99,6 % zu bieten, erfüllen. Das Versprechen ist dabei kein Selbstzweck, sondern letztlich die Basis unserer Logistikkompetenz als Großhändler, dem Fachhandwerk möglichst schnell und fehlerfrei in der gewünschten Stückzahl die Sanitär-, Heizungs-, Klima- und Installationsprodukte termingerecht zur Verfügung zu stellen, die genau jetzt auf der Baustelle gebraucht werden.
Der digitale Lieferschein war dabei, sagen Sie, das letzte Glied, das in dieser Prozesskette noch fehlte ...
Ja, das ist richtig. Nachdem wir die technische Basis mit EDI und VMI (Anm. d. Red.: VMI ist die Abkürzung für Vendor Managed Inventory; durch den Lieferanten gesteuertes Lagermanagement) für lückenlos digitale Prozesse in den letzten Jahrzehnten immer weiterentwickelt haben, stehen jetzt die Ende-zu-Ende-Prozesse in der Betrachtung, wenn es um den digitalen Schulterschluss geht. Der Handlungsbedarf an dieser Stelle wurde deutlich, nachdem wir die gesamte Lieferkette (Supply Chain) nochmal in Bezug auf weitere digitale Potenziale hin überprüft haben.
Es war also naheliegend, für die noch fehlende Stufe, eben Lieferscheine und Packlisten, etwas Ähnliches zu entwickeln. Das ist uns als anerkannter Pionier in der Entwicklung innovativer Prozesslösungen im Fachgroßhandel gemeinsam mit Viega gelungen, wie die erfolgreiche Umsetzung des digitalen Lieferscheins in allen Zentrallägern von Elmer jetzt bestätigt.
Herr Kaiser, als Director B2B-Process Management bei Viega waren Sie maßgeblich an die Entwicklung des digitalen Lieferscheins mit beteiligt. Wieso ist Viega mit Elmer in dieses Thema eingestiegen?
Als traditionsreicher Hersteller steht Viega schon seit Jahrzehnten im engen Schulterschluss mit dem Fachgroßhandel – immer mit der Zielsetzung, Prozesse zu optimieren und manuelle Tätigkeiten digital abzubilden. Das funktioniert aber nur durch einen hohen Digitalisierungsgrad, da wir typischerweise anhand unseres Sortimentes immer auch über viele Tausend kleinteilige Produkte sprechen. Auf der kontinuierlichen Suche nach Optimierungspotenzial wurde so im engen und vertrauensvollen Austausch mit Elmer der Themenkomplex „Lieferscheine und Packlisten“ als nächstes wichtiges Handlungsfeld identifiziert.
Mit welcher Zielsetzung sind Sie in das Projekt gestartet?
Unser Ziel war es zunächst einmal auch aus Gründen der Nachhaltigkeit, diesen Prozessschritt endlich papierlos zu gestalten und dadurch gleichzeitig im Sinne unseres Kunden die angesprochene Effizienz und Prozesssicherheit weiter zu steigern. Herausfordernd war dabei, die Umstellung der Packlisten und Lieferscheine von Papier auf Daten nicht als ein isoliertes Projekt zu betrachten, sondern es möglichst nahtlos in vorhandene Datenstrukturen zu integrieren. Durch die Weiterentwicklung des EDI-Lieferavis ist uns das perfekt gelungen.
Herr Knitsch, wie sieht das in der Praxis jetzt konkret aus?
Bislang war es üblich, dass mit jeder Lieferung von Viega ein Lieferschein und eine Packliste mitkamen. Sie wurden von den Mitarbeitenden im Wareneingang erst mit dem Inhalt auf der Palette und später am Bildschirm mit der entsprechenden Bestellung beziehungsweise dem Lieferavis abgeglichen. Das alles bedeutete unproduktive Mehrfachtätigkeiten, die Zeit kosteten und potenzielle Fehlerquellen darstellten. Jetzt wird stattdessen die Lieferung per Scanner identifiziert, automatisch mit den digitalen Lieferbelegen gespiegelt und zusätzlich auf die Bestellung referenziert. Viega, als einer unserer größten Lieferanten, beliefert jedes unserer Lager wöchentlich mit vielen Paletten Ware. Da kann man leicht ausrechnen, wie viel Zeit wir jetzt schon sparen und noch sparen können, wenn weitere Lieferanten den Prozess begleiten.Die so gewonnene Zeit steht den Mitarbeitenden im Wareneingang nun für produktivere Tätigkeiten zur Verfügung.
Diese Vorteile betreffen die Arbeit im Wareneingang an sich. Davor aber stand zwangsläufig die Integration in die bestehenden Enterprise Resource Planning (ERP)- und Logistikprozesse. Wie einfach – oder aufwendig – war sie denn?
Die Integration in die bestehenden Datenstrukturen, auf die wir bei jeder Optimierung generell größten Wert legen, war angesichts des Lösungsansatzes über EDI und das Lieferavis vergleichsweise einfach. Denn durch die Weiterentwicklung des Lieferavis mussten nur einige Anpassungen vorgenommen werden, die im Wesentlichen den Prozess an sich betrafen. Das hat die Einführung beschleunigt und gleichzeitig für Akzeptanz bei den Mitarbeitenden gesorgt, weil wir auf Vorhandenem aufgesattelt haben.
Hier hat sich ausgezahlt, dass sowohl Viega als auch Elmer als familiengeführte Unternehmen bei solchen Aufgabenstellungen pragmatisch und mit hohem Praxisbezug vorgehen. Hinzu kommt das gegenseitige Vertrauen mit entsprechender Offenheit, um gemeinsam das beste Ergebnis zu erreichen – zur Stärkung des dreistufigen Vertriebswegs.
Inwieweit erschwert diese enge Kooperation mit Viega die erklärte Absicht, auch andere Hersteller in der Zusammenarbeit mit Elmer vom digitalen Lieferschein zu überzeugen?
Gar nicht, denn wir haben zusammen mit Viega die Umsetzung auf Basis der vorhandenen SAP-Strukturen und der etablierten Branchenstandards, wie eben EDI, geschafft. Das heißt, im Prinzip kann bei uns jetzt jeder Hersteller mit einsteigen und so auch seine eigenen Prozesse weiter verbessern.
Herr Kaiser, zu diesen Verbesserungen gehört ebenso mehr Nachhaltigkeit, weil ohne Packlisten und Lieferscheine jeden Tag Berge von Papier eingespart werden, oder?
Das ist tatsächlich so. Wir haben ausgerechnet, dass in der Zusammenarbeit zwischen Viega und Elmer mit Einführung des digitalen Lieferscheins allein in den ersten Monaten nach der Einführung schon weit über 20.000 Blatt Papier eingespart worden sind. Auf das Jahr hochgerechnet entspricht das dem Gegenwert eines Baumes, der nicht zur Papiergewinnung gefällt werden muss. Also ein weiterer, messbarerer Beitrag für mehr Nachhaltigkeit, den Elmer und wir jetzt gemeinsam leisten – jeden Tag neu.
Herr Knitsch, Herr Kaiser – herzlichen Dank für dieses informative Gespräch.
Extra Kasten:
Entscheidend: Mitarbeitende mitnehmen
Die Einführung des digitalen Lieferscheins trifft in wohl jedem Unternehmen, besonders aber bei einem Großhandelsunternehmen in der Größenordnung von Elmer, einen Nerv: Packliste und Lieferschein stehen fast schon sinnbildlich für die ankommende Ware. Sie geben dem Ein- wie dem Auslagerungsprozess eine dingliche, fassbare Größe. Umso wichtiger war es für Gesamtlogistikleiter Matthias Spengler und seinen Kollegen Markus Schlicht (Zentrallager Bottrop, Wareneingangs-Leiter), die Mitarbeitenden von Anfang an in die Umstellung einzubinden: „Entscheidend war dabei unsere Schlüsselbotschaft, dass nicht schon wieder etwas Neues kommt, sondern wir etwas Bewährtes weiterentwickelt haben. Und wir von Elmer haben auch schnell den Nutzen für uns erkannt und das steigert gewöhnlich auch die Akzeptanz.“
Mindestens genauso wichtig: zu zeigen, welche Papierberge ab sofort nicht mehr bearbeitet, gelocht und abgeheftet werden müssen. „An den Stapeln Papier wurde jedem deutlich, wie viel Arbeit künftig wegfällt, wie viel einfacher die Arbeit wird und in welchem Maße wir die Umwelt entlasten, weil wir weniger Papier verbrauchen“, so die beiden Elmer-Spezialisten.
Hinzu kommt, dass die digitale Prozessoptimierung nicht mit dem Abbau von Personal verbunden ist, sondern mit mehr Verantwortung für die Qualität der eingehenden Lieferungen: „Mögliche Mängel, die schon hier erkannt werden, können sich im nachfolgenden Prozess nicht mehr potenzieren. Wir werden im Ergebnis also nochmals deutlich besser. Und davon profitiert wieder unmittelbar unser Kunde, der Fachhandwerker.“