Rückbau von Kernkraftwerken mit Viega-Pressverbindungstechnik
Warum dann sogar aus einer vergleichsweise simplen Verschlusskappe ein High-Interest-Produkt werden muss, umreißt Schweißfachingenieur Arno Hentschel aus langjähriger Berufserfahrung bei Herstellern, beim Gutachter und jetzt beim Betreiber PreussenElektra so:
„Für Rohrleitungsinstallationen in deutschen Kernkraftwerken gibt es fünf definierte Rohrklassen mit ausgewiesenen kerntechnischen Spezifikationen. Die sehen hier je nach Rohrklasse beispielsweise vor, dass jeder einzeln geschweißte Rohrverschluss als ,handwerkliches Unikat‘ durch ein qualifiziertes und zertifiziertes Prüfunternehmen einer zerstörungsfreien Werkstoffprüfung beispielsweise mittels Durchstrahlungsprüfung zu unterziehen ist. Erleichterungen durch Verminderung des prozentualen Prüfumfanges der zerstörungsfreien Werkstoffprüfung – wie in der Serienherstellung bei der Errichtung der KKW von Rohrschweißungen – greifen hier nicht. Das macht es aufwändig, denn wir sprechen hier beim Rückbau über eine sehr hohe Anzahl von Verbindungs- und Verschlussstellen.“
Hinzu kommt, dass viele der Rohrverschlüsse in mehreren Metern Höhe knapp 15 cm unter der Decke liegen und zum Teil nur über Gerüste zugänglich sind. Schweißen wäre hier durch die extreme Zwangslage nur durch sehr hochqualifizierte Schweißer möglich. Dazu kommt, dass die Schweißarbeiten mit überproportional großem Zeit- und Organisationsaufwand verbunden sind, weil die Rohrleitungen aus austenitischem Stahl wegen der Gefahr der Oxidation der Schweißnaht vorab vor dem Schweißen innen komplett mit großen Mengen an teurem Formiergas gefüllt werden müssten, was vielfach wegen der Weitverzweigung des Systems kaum möglich ist. Außerdem muss die Umgebung der Schweißstellen gegen Brandübertrag geschützt werden. In der Summe: Schweißarbeiten sind extrem aufwändig, somit sehr teuer...
Mit Endkappen aus den Rohrleitungssystemen „Megapress“ und „Megapress S“ für dickwandige Stahlrohre sowie der Weiterentwicklung daraus, den austenitischen Stahl-Ausführungen „Megapress Stainless 316“, hat Dipl.-Ing. Arno Hentschel gemeinsam mit Systemanbieter Viega jetzt jedoch in den Dimensionen DN 15 bis DN 100 ein alternatives Verfahren am Start, das den hohen Qualitätsanforderungen der PreussenElektra genauso Rechnung trägt wie den Anforderungen nach einer wirtschaftlichen Verarbeitung.
Auszeichnung für Viega-Fertigung
Ein kurzer Rückblick: Nach den etablierten Presssystemen für Kupfer („Profipress“) und austenitischem Stahl („Sanpress“ und „Sanpress Inox“) hatte Viega – mit „Megapress“ – vor wenigen Jahren als erster Hersteller die innovative Pressverbindungstechnik auch für dickwandiges Stahlrohr in industriellen Anwendungen zur Serienreife gebracht. Das bedeutete insbesondere für die Sanierung oder Erweiterung bestehender Anlagen einen Quantensprung, da solche Installationen plötzlich auch im laufenden Betrieb oder unter beengten Platzverhältnissen, vor allem aber durch jeden eingewiesenen SHK-Monteur, statt eines geprüften Schweißers, vorgenommen werden konnten.
Die Hürden, bis die Viega-System-Kappen in die Spezifikationen für den Einsatz im Installationsumfeld der o. g. Kernkraftwerke aufgenommen wurden, waren aber dennoch hoch – denn die Presstechnik war hier bis dato weder für Rohrleitungen aus dickwandigem Stahl noch für solche aus austenitischem Stahl zugelassen. In einem mehrstufigen Prüfverfahren musste so beispielsweise ein umfangreiches Lastenheft erstellt werden, um die speziellen kerntechnischen Anforderungen an die Endkappen und deren Pressverbindung zu beschreiben. In enger Abstimmung mit dem VdTÜV-Gutachter wurde dann nach Freigabe des Lastenheftes die Leistung von Viega als Hersteller geprüft und die dahinterliegenden Fertigungsprozesse qualifiziert, bevor nach Durchführung zahlreicher Tests eine Qualifikation gemäß VdTÜV zum Einsatz der Installationskomponenten für die entsprechenden Kraftwerke vorlag und die Viega-Endkappen je nach Medium mit EPDM- oder FKM-Dichtelementen erstmals installiert wurden.
Der hier getriebene Aufwand zahlt sich für PreussenElektra jetzt aber auf jeden Fall aus, denn „die Einsparungen aus der schnelleren, mit deutlich weniger Aufwand verbundenen Installation werden sich allein beim Rückbau aller PreussenElektra-Kraftwerke auf einem sehr hohen Niveau bewegen“, so Dipl.-Ing. Hentschel – bei identischem Sicherheitsniveau, aber gleichzeitig deutlich reduzierter Strahlenbelastung für die Monteure.
Für Viega als Hersteller wiederum ist vor allem die neutrale Bewertung der Produktionsprozesse im Kontext des Zulassungsverfahrens durch PreussenElektra und dem VdTÜV eine Bestätigung für das hohe Qualitätsniveau, auf dem sich die „Megapress“-Fertigung generell bewegt.
Objekt | Rückbau von Kernkraftwerken |
Ort | Deutschland |
Jahr | 2021 |
Objektart | Renovierung |
Einsatzbereich | Industrie- und Gewerbeanwendungen |
Viega's Beitrag zu Deutschlands Ausstieg aus der Kernenergie
Die beiden im Rückbau befindlichen Kraftwerke „Unterweser“ und „Isar 1“ des Betreibers PreussenElektra waren über viele Jahrzehnte Rückgrat der heimischen Energieversorgung.
Im März 2011 wurde die Anlage, im Rahmen des beschlossenen Ausstiegs Deutschlands aus der Kernenergie, mit insgesamt sieben weiteren Kernkraftwerken abgeschaltet. Der nukleare Rückbau hat im Februar 2018 mit der Erteilung der Genehmigung zur Stilllegung und zum Rückbau der Anlage begonnen.